From: Boris Kraut <krt@nurfuerspam.de>
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Date: Sun, 21 Nov 2010 01:22:08 +0100
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Subject: Didaktik der Informatik

Die Informatik, so schreibt Wikipedia, hat sich aus der Mathematik und
der Technik -- insbesondere Elektro- und Nachrichtentechnik -- entwickelt.
Es gibt sogar Leute, die behaupten, dass Informatik nur ein Teilgebiet
der Mathematik ist, aber wie sovieles, das ohne die Mathematik nicht sein
koennte, aber inzwischen eigenstaendig ist, so ist auch die Informatik
inzwischen mehr als "nur" Mathematik.

Gerade wer die Informatik als Wissenschaft (im heutigen Sinne, aber davon
ein ander mal..) begreift, der wird um Mathe nicht herum kommen, und das
ist auch gut so! Allerdings wird unter dem Schlagwort Informatik heute
ein Sammlung von verwandten und angegliederten Bereichen verstanden, die
auch mal etwas weiter von der Mathematik entfernt sein koennen. Gerade an
Schulen wird alles, was irgendwie mit neuen Medien zu tun hat, gerne
als Informatik bezeichnet.

Beide Tendenzen sind weit verbreitet und werden der Schulinformatik immer
wieder angekreidet. Neben den vielen -- subjektiv ist das wohl gelogen;
denn die meisten Schulen, die ich von innen gesehen habe, gehoeren nicht
zu dieser Gruppe -- Schulen, die einen vortrefflichen Informatik-Unterricht
bieten, gibt es zwei Abarten. Der einen wirft man vor zu "lasch" zu sein
und keine Infromatik, sondern Ein/Aus-Schalten von Rechnern, zu vermitteln,
bei der anderen wird eine entarteter Hang  zur Mathematik nachgesagt (meist
bedingt durch Mathelehrer im Informatikergewand).

Auf dem Weg zu einem besseren Informatikunterricht muessen wir uns drei
Fragen stellen:

  - Wo stehen die Schueler jetzt?
  - Was waere ein wuenschenwertes und realistisches Ziel?
  - Wie gestalten wir den Weg dorthin?


1) Wo stehen die Schueler jetzt?

So pauschal kann man die Frage wohl nicht beantworten, aber folgendes
faellt mir immer wieder auf, wenn ich an Schulen bin: Medienkompetenz
wird zwar von jedem Fach gefordert und auch vorrausgesetzt, es wird
allerdings nichts unternommen, um die Herausbildung von Medienkompetenz
bei den Schuelern zu unterstuetzen.

Lehrer verweisen dann darauf, dass die Schueler ja sowieso das schon
alles koennten -- ein paar wenige aufrichtige formulieren es richtiger-
weise so, dass die Schueler _mehr_ Wissen haben als einige Lehrer --
aber genau das ist ein Trugschluss.

Die Schueler sind in sofern medienkompetent, dass sie mit den neuen
Medien aufgewachsen sind, sie taeglich konsumieren und deren Bedienung
verinnertlicht haben. Medienkompetenz ist allerdings mehr, denn ein
kritischer Umgang fehlt den meisten Schuelern voellig. Es findet kein
Reflektieren statt. Es wird nicht gefragt, warum, weshalb, wieso. Es
wird einfach akzeptiert, dass die Welt heute so ist und das Konsumieren
sorgt fuer Kurzweile. 

Und selbst das "Bedienenkoennen" ist nur oberflaechlich vorhanden,
tiefergehende "Bedienmoeglichkeiten" sind den meisten Schuelern wie
Lehrern unbekannt. Es fehlt an einem Verstaendnis von der Technik,
die alltaeglich genutzt wird.

Um das klar zu sagen: Es geht hier nicht um Expertenwissen, sondern
-- um ein analoges Beispiel zu bringen -- darum, dass man ja auch
die grundlegenden Wartungen und Funktionsweisen eines Autos kennen
sollte; das wird zwar immer weniger, aber zumindest wie und was man
tankt, wo man die Motorhaube oeffnet, wie man den Reifendruck ueber-
prueft, [...] sollte bekannt sein. Aehnlich sollte auch ein Grund-
wissen ueber Rechner, Handys o.ae. vorhanden sein.


2) Was waere ein wuenschenwertes und realistisches Ziel?

Die Frage nach dem Ziel, nach der Kompetenz, die am Ende vorhanden
sein soll, ist nicht leichter zu beantworten. Grundsaetzlich muss
man wohl unterscheiden, was gelehrt werden soll und in welchem
Fach.

Der jetzige Ansatz, das Basiswissen in den jeweiligen Fachdisziplinen
zu vermitteln, also in Deutsch beispielsweise die Textverarbeitung
zu behandeln, ist zwar gut, aber scheitert an der Praxis. Auch wenn
wir diesen Ansatz nicht abschaffen sollten, so ist er in keinster
Weise ausreichend.

Das alte Fach ITG, wie es immer noch an mehreren Schulen unterrichtet
wird, sollte wiederbelebt werden -- zusaetzlich zu der weiterhin
zu foerdernden Nutzung von neuen Medien in den einzelnen Faechern.
In dieser Informationstechnischem Grundbildung soll es um eben die
oben genannten Punkte gehen: Tieferes Grundwissen, Mediennutzung,
Medienkritik, Reflektion, Medienkompetenz. Kurz gesagt geht es auch
hier um das grosse Ziel, den Schuelern Hilfestellungen zu geben um
zu einem muendigen Buerger zu werden -- eine Art IT-Muendigkeit.

In einem davon getrennten Fach "Informatik" sollten dagegend aufbauend
auf diesen Grundlagen "echtes" IT-Wissen vermittelt werden. Hier geht
es um Informatik als Wissenschaft, um Mathematik, ums Programmieren,
ums Modellieren und und und. Ziel hier sollte eben sein, dass ein
Schueler nach dem Abschluss gut auf eine Ausbildung im IT-Bereich
oder ein Informatik-Studium vorbereitet ist und gerade im letzten
keinen Schock bekommt, weil er mit einer solchen Diskrepanz zwischen
Informatik und Schulinformatik nicht gerechnet hat.


3) Wie gestalten wir den Weg dorthin?

Auch auf diese dritte Frage kann ich keine Antwort geben. Allerdings
halte ich den bisherigen Weg, der auch von einem Teil der Lehr-
beauftragten hier -- und die Unzufriedenheit ueber diese und deren
eingeschlagenen Weg sind auch der Ausloeser fuer das Schreiben
dieses Textes -- beschritten wird, fuer fragwuerdig. Wie oben bereits
erwaehnt geht Informatik ohne Mathematik nicht, aber warum diese
Dominanz von Anfang an? Ein Grossteil der Schueler hat kein Interesse
an Mathematik, und das hat nichts mit so einem Unsinn wie "Begabung"
zu tun. Und wenn wir Informatik immer nur als ein Teilgebiet der
Mathematik ansehen, dann wird sich auch am Interesse der Schueler
fuer Informatik nichts aendern. Mathematik mit Computern, das ist
oede, weil Mathe oede ist und man Computer auch zu Hause hat. Die
Informatik muss aus dem Schatten der Mathematik heraustreten und
eigene Konzepte entwickeln, wie man Schueler begeistern kann. Es
nuetzt nichts, wenn wir nur auf die Mathelehrer warten, bis die
endlich einen Weg gefunden haben, die Schueler fuer ihr Fach zu
begeistern und wir in diesem Sog auch motivierte Schueler fuer
Informatik bekommen. Klar, Mathebegeisterung zu wecken ist ein
gutes und wichtiges Ziel, aber die Informatik muss hier eigene
Akzente setzen.

Mir is klar, dass sich die Abhaengigkeiten zwischen beiden Disziplinen
nicht leugnen lassen, und das will ich auch nicht. Im Verlauf des
Unterrichts wird zwangslaeufig viel Mathematik einfliessen. Aber
gerade am Anfang scheint mir das nicht sehr zweckmaessig zu sein...

... wobei mir auch durchaus klar ist, dass sich gerade am Anfang
bekanntes mathematisches Wissen so wunderschoen leicht in Algorithmen
giessen lassen kann, die man dann programmiertechnisch umsetzen kann.
Aber meint ihr wirklich, dass die Schueler davon begeistert sind,
wenn sie den ggT nicht nur per Hand (und dem Taschenrechner...)
berechnen koennen, sondern jetzt auch das als Programm auf dem PC?
Das interessiert die meisten absolut gar nicht und hat so ziemlich
nichts mit dem Alltag der Schueler zu tun -- zumindest nichts,
dessen sie sich bewusst waeren.